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Residents

Widmen wir uns doch den Menschen zu mit denen ich den Großteil meiner Zeit hier in Malaysia verbringe: die Bewohner des PCH. Doch fangen wir ganz am Anfang an. Ich glaube der erste Nachmittag und Abend wird noch für lange Zeit bei mir im Gedächtnis bleiben. Nach einigen Tagen im luxuriösen Hotel in KL ging es in meine Wirkungsstätte. Meine Gefühle waren eher gemischt, da ich eigentlich nie angegeben hatte vorrangig Menschen mit Behinderung zu helfen und durch die Website des Homes schon einen gewissen Eindruck hatte. Doch da ich nicht der erste Freiwillige im Home bin wussten die Residents was sie erwarten würde. So fiel der erste Kontakt auch nicht schwer, da der ein oder andere kurz nach der Ankunft schon auf mich zugerollt kam. Ich würde behaupten es fiel beiden Seiten leicht sich in einem lockeren Gespräch kennenzulernen. Schon an diesem ersten Abend begann sich meine vorher gebildete Meinung zu ändern. Nach über drei Monaten hier bin ich überglücklich meine Bewohner um mich zu haben. Während andere Freiwillige über harte anstrengende Tage klagen, kann ich mich nicht über einen Tag beschweren, an dem ich wirklich hilflos oder mit meinem Latein am Ende war. Natürlich gibt es Tage an denen das arbeiten leichter fällt, da die Residents gut gelaunt sind und es gibt Tage, an denen man seine ganze Überzeugungskraft braucht jemanden dazu zu bringen doch zur Physiotherapie zu gehen. Insgesamt ist meinen Resumée nach einem Vierteljahr überaus positiv. Wenn ich eine Sache benennen müsste, die ich für mich am schwierigsten ist, wäre es das unglaubliche Aufmerksamkeits- und Nachfragebedürfnis der Residents. Ich versuche zu helfen wo es geht. Schneide Fußnägel, rasiere Bärte oder helfe beim Toilettengang. Hat man einen Bewohner seinen Wunsch erfüllt hört man schon den Ruf eines weiteren. So ist es auch oftmals in meiner Freizeit selbstverständlich einen Gefallen für meine Bewohner zu erfüllen. Der Dank und ein Lächeln der einzelnen Bewohner ist sicherlich das, was einem am meisten zeigt, wie glücklich man mit kleinen Gesten werden kann. Der ein oder andere wird sich nun fragen warum ich denn immer meine Bewohner schreibe. So ganz genau weiß ich das ehrlich gesagt auch nicht, denn eigentlich müsste ich von meinen Freunden schreiben. Tatsächlich versuche ich die Residents nicht als eine Art Klientel zu behandeln, sondern eher wie gute Freunde, die ab und an Hilfe benötigen. Ich würde nicht soweit gehen, mich exakt so zu beschreiben wie Driss aus „Ziemlich beste Freunde“, aber ich glaube mein Stil ist ähnlich. Glücklicherweise habe ich mir durch meine bisherige Arbeit Respekt verschafft und kann so auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Bewohnern ohne Hilfe von dem restlichen Staff auflösen. Interessant zu beobachten ist, dass sich über die Jahre eine Art Hierarchie gebildet hat und bestimmte Bewohner Posten im inoffiziellen System eingenommen haben. Da haben wir zu allererst einmal die „Chefin“. Die ältere Dame ist schon mehrere Jahre hier und hat sich so etabliert. Sie „befehligt“ sogar schon treu ergebene Bewohner und auch das Personal des Homes geht ihren Instruktionen nach. Außerdem bewahrt sie auch Geld für einige andere Residents in ihrer Tasche. Was für den ein oder anderen jetzt nach mafiaähnlichen Zuständen klingen mag ist in Wahrheit ein sehr gut funktionierendes System. Immer freundlich und in keinster Weise arrogant oder auf ihre Position aus, so muss man sich das vorstellen. Dann wäre da noch der „Herr der Plastikstäbe“, der ein eigenes Büro, eher eine Art Schuppen, sein Eigen nennt. Verantwortlich dass immer genug Arbeit für die Residents da ist verbringt er den Großteil seiner Freizeit in seinem Büro und kümmert sich um die Organisation Plastikstäbe exakt auf die Arbeitenden zu verteilen. Für die Technik hat sich auch ein Bewohner hervorgehoben. Egal ob Musik für Aerobic-Einheiten oder CandyCrush Probleme: bei technischen Angelegenheiten ist er die Anlaufstelle. So gibt es noch etliche andere Positionen, die mehr oder weniger unangefochten existieren und einen reibungslosen Tagesablauf garantieren. Doch von all diesen Posten resultieren auch teilweise aus dem, was für mich der wichtigste Aspekt meiner Bewohner ist: Individualität. Es lässt sich immer leicht sagen, dass jeder Mensch anders ist, doch hier wurde mir erst richtig bewusst was Individualität bedeutet. Über 50 Bewohner individuell zu behandeln ist etwas was ich in dieser Weise wahrscheinlich noch nie so bewusst gemacht habe. Das fängt an mit simplen Dingen wie beispielsweise dem Essen. Was anfangs nur Teller waren die Namen trugen, hat sich soweit entwickelt, dass ich teilweise das Essen für meine Bewohner ganz nach ihren Wünschen auswählen kann. Das stellt bei der Masse doch eine Herausforderung dar und ich bewundere jedes Mal unsere Köchin, die es schafft, dass jeder mit seinem servierten Teller zufrieden ist. Vor allem zeigt sich Individualität bei der Art der Behinderung. von Epilepsie über Down-Syndrom bis zu Zentralparenthese findet sich hier ein breites Spektrum. Die Fähigkeiten der enzelnen Residents unterscheidet sich sehr und somit auch die Förderung und Unterstützung. Während manche Bewohner fast schon eigenständig leben können gibt es auch Bewohner, denen man wortwörtlich bei Schritt und Tritt helfen muss. Auch in der Eigeninitiative gibt es große Diskrepanz zwischen den Residents. Während einige unaufgefordert in ihrer Freizeit den Rollstuhl verlassen um wenigstens ein paar Schritte zu machen, gibt es leider auch wenige, die Hilfe des Personals in Anspruch nehmen, obwohl sie dazu alleine in der Lage wären. So erkenne ich hier nach drei Monaten Verbesserungen, aber eben auch Verschlechterungen.

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1 Kommentar

  1. Iris 11. November 2017

    Klingt spannend und abwechslungsreich.

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