Nils Blog

Erinnerungen

Ich habe bemerkt, dass ich die letzten Beiträge immer mehr längere Texte geschrieben habe und mich gefragt, woran das liegen mag. So ganz bin ich der Sache nicht auf den Grund gekommen, aber ich verspreche, dass ich diesen Beitrag kürzer halten werde, zumindest hoffe ich das. Und doch werde ich versuchen, nun drei (oder vielleicht sogar vier Tage hier zusammenzufassen. Also Konzentration hochfahren, hier kommt der vorletzte Beitrag der Reise.

Wir befanden immer noch in Prilep und wie schon im letzten Beitrag erwähnt, es ist nicht das erste Urlaubsziel, das ich empfehlen würde, wenn mich jemand fragt. Trotzdem wird mir die Stadt in Erinnerung bleiben, da wir das erste Mal in Prilep die Möglichkeit hatten, uns das „alltägliche“ Leben der Bewohner selbst anzuschauen. Ich hatte ja schon im Beitrag von Srebrenica geschrieben, dass ich das Leben außerhalb der Großstädte auch interessant finde, da hier die Menschen sich nicht um Touristen wie uns scheren. Auf der anderen Seite war ich auch froh, dass wir heute weiter fahren würden, denn viel zu sehen gab es nicht. Ein letztes Mal alles in den Bus laden, kurz ins Zentrum fahren und vor einem Museum warten. Dieses sollte sich wieder mit einem historischen Tag für den Ort beschäftigen, und zwar dieses Mal den 11. Oktober 1941. Was hier passiert ist, möchte ich kurz von Beginn an erzählen. Das Gebäude, in dem sich das Museum befand, war früher ein ganz normales Haus gewesen, bevor es in eine Polizeistation umgewandelt wurde. Das ist wichtig für den weiteren Verlauf der Geschichte. Denn um zu verstehen, warum gewisse Daten so bedeutsam sind, muss man die Vorgeschichte kennen. Diese wurde im Museum gezeigt und erklärte die Zeit der Besatzung durch die faschistischen Bulgaren von 1941 bis 1944. Ich hatte bereits ja im letzten Beitrag erwähnt, dass Deutschland nicht alleine den Balkan kontrollieren konnte. Doch schon auf dem Kriegerfriedhof kam bei mir die Frage auf, was man denn eigentlich hier sucht, so weit entfernt von dem eigenen Land, dass man es erobern muss. Das ist aber eine andere Geschichte. Also wieder zurück zur Vorgeschichte des 11. Oktober. Ich muss zugeben: Ganz lückenlos habe ich die Historie nicht mitbekommen, aber ich behaupte hier nun einfach das, was unsere Museumsführerin uns erzählte. Scheinbar hatte nach dem Ersten Weltkrieg der Versailler Friedensvertrag auch einen Abschnitt, der die Aufteilung der Region Mazedoniens in drei Teile regelte. Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob man sich damals wirklich mit der südlichen Balkanregion in Versailles beschäftigt hat, aber so sind meine Infos gewesen. Diese Aufteilung und die Besetzung der Bulgaren im nächsten Weltkrieg führten aber sicherlich nicht dazu, dass man sich in der Region frei und unabhängig fühlte. Tatsächlich waren es die kommunistischen Partisanen, die sich in Häusern rund um Prilep verteilt hatten und von dort aus die Propagandamaschinerie anlaufen ließen. Doch nicht nur die idealistischen Ziele von Freiheit und Unabhängigkeit formten eine Widerstandsbewegung. Vor allem die Ausbeutung der Arbeiter, wie man sie nicht nur in Mazedonien beobachten konnte, trieb die Menschen auf die Straße und es wurden Streiks organisiert. Die wirtschaftliche Lage war in den Kriegsjahren schlecht und es ist nur logisch wen man dafür verantwortlich macht. Die Partisanen wollten ein Zeichen setzen und planten einen Anschlag. Am 11. Oktober sollten drei Gebäude in Prilep angegriffen werden. Unter anderem eben auch die Polizeistation, die von den Bulgaren für die Besatzung genutzt wurde. Im Museum konnten wir die Originalpläne für den Angriff an diesem Tag begutachten und sahen auch die 15 Gesichter, die als Nationalhelden seit diesem Tag gelten. Das wirklich interessante an diesen Partisanen war deren Beschäftigung. Soweit ich es wahrgenommen hatte, war keiner der Partisanen ein Soldat oder Ähnliches. Die Gruppe der 15 jungen Männer bestand aus Malern, Musikern und Dichtern. Also kreative Berufe, die sich solidarisch mit den Arbeitern für eine Befreiung Mazedoniens einsetzen wollten. Von dem Angriff aus startete die Widerstandsbewegung, die bis 1944 Bestand hatte. Trotz dieser heldenhaften Tat, einem eigenen Museum in dieser kleinen Stadt und der wohl teilweise erfolgreichen Befreiung aus der Unterjochung der Bulgaren findet, laut unserer Museumsführerin, kaum ein Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges statt. Kommt das jemanden bekannt vor? Scheinbar beziehen sich die Menschen hier viel lieber auf (wieder einmal) Alexander den Großen oder die kommunistische Zeit. So ganz kann ich das nicht verstehen, aber vielleicht habe ich es eben auch nicht ganz richtig verstanden.

Da das Museum relativ klein war und wir nach gut einer Stunde alles gesehen hatten (das Wandgemälde im ersten Stock von Borko Lazeski war hier mein Highlight) ging es mit dem Bus zu unserem letzten Denkmal auf dieser Reise. Auf dem Hügel der Unbesiegten gab es ähnlich wie Vraca Memorial Park in Sarajevo wieder verschiedene Denkmäler für unterschiedliche Gruppen des Widerstands, aber ich möchte mich hier ja kurz halten, also fliege ich darüber hinweg und komme zu dem Denkmal, dass unsere Gruppe liebevoll „Froschziege“ taufte. Acht Säulen, die etwas aussahen wie überdimensionierte Schachfiguren waren hier aufgestellt und wir sollten die Bedeutung herausfinden. Nach zehn Tagen Denkmalintensivkur sprudelten wir nur so vor Kreativität und ähnlich wie auf dem Avala Berg konnten wir unterschiedliche Interpretationen aus dem Denkmal herauslesen. Von eben beschriebenen Schachfiguren bis zu Ländern war alles vertreten. Was ist nun die Bedeutung? Sagen wir mal so: Wir alle lagen nicht ganz falsch und auch nicht ganz richtig. Wir standen zwischen 8 Tänzer*innen, die für die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken stehen und besonders den Widerstand der Partisanen herausheben sollen. Ehrlich gesagt mochte ich unsere Froschziegen mehr, aber das nennt man dann wohl Kunstfreiheit. Damit war Prilep für uns abgeschlossen und der Bus trat seine letzte längere Busfahrt mit uns an. Ich möchte hier jetzt nicht die Fahrt schon nostalgisch romantisch wirken lassen, aber es wirkte so ein wenig als wollte uns das Wetter draußen nochmal zeigen, dass wir uns dem finalen Ziel näherten. Nach einem Regenschauer konnten wir einen doppelten Regenbogen über einem Tal bestaunen, bevor wir das letzte Mal zu einer Grenze kamen. Hier ging alles noch viel schneller als je zuvor. Zum ersten Mal konnten wir en bloc die Reisepässe abgeben, mussten nicht aussteigen und konnten fast ohne Zeitverlust nach Griechenland einreisen. So muss sich wohl das gelobte Land anfühlen, dachten sich sicher einige. Endlich wieder Euro, endlich wieder Roaming, so fern von zu Hause und doch so nah. Mit Griechenland waren wir wieder in der EU und es fühlte sich komischerweise so an, als sei man wirklich wieder etwas näher an der gewohnten westlichen Welt. Ich kann nicht genau beschreiben, was es war, aber ich glaube, alle fühlten sich etwas so. Mit der untergehenden Sonne erreichten wir Thessaloniki und ich bin ehrlich: Auf einmal fühlte sich Tag 11 schon wie das Ende der Route an. Gut, gewissermaßen waren wir ja auch am Ziel, aber es warteten ja noch drei Tage auf uns (auch wenn Tag 14 nur die Abreise bevorstand). Etwas melancholisch wurde uns das letzte Mal ein Partner zugeteilt und wir bezogen unsere Zimmer. Es ist irgendwie komisch, dass man, wenn man das Ende schon förmlich sehen kann, anfängt die Reise bereits zu reflektieren, doch dazu sollte es erst noch kommen.

Tag 12 stand ganz im Zeichen der Besinnung auf die vergangenen Tage, doch vorher hatte sich unsere Laufgruppe nochmals früh morgens für eine kurze Laufeinheit verabredet. Dieses Mal war unser Hotel jedoch auf einem Hügel gelegen, was der Strecke mehr Höhenmetern verlieh und wir mit den warmen Temperaturen uns die Dusche verdient hatten. Frisch geduscht und gestärkt starteten wir in unseren Tag, den wir ausschließlich im Hotel verbringen würden. Ganz schön ungewohnt, nach vielen Tagen rastlosem Reisen. Im ersten Schritt erhielt jeder von uns eine Karte, auf der ein Land, eine Stadt oder eine Person geschrieben war. Zusammen als Gruppe rekapitulierten wir nochmals die vergangenen elf Tage und nannten unsere Highlights der Route. Doch dann ging es an die Arbeit. Natürlich hatten wir alle lebhafte Erinnerungen von der bisherigen Zeit auf der Route, doch damit diese nicht verblassen und wir ein dauerhaftes Souvenir der Reise haben sollten wir ein Erinnerungsbuch erstellen. Wir hatten das Glück zu sehen, wie andere Gruppen vor uns auf verschiedenen Routen ihr Buch gestaltet hatten und konnten so Inspirationen gewinnen. Nun war unsere Kreativität gefragt: Welche Inhalte wollten wir in unserem Buch als Erinnerung haben? Unsere Gruppe einigte sich relativ schnell auf einige Elemente, die wir bereits gesehen hatten, aber natürlich wollten wir auch unseren eigenen Akzent setzen. So wird wahrscheinlich das erste Mal in einem Buch über die Peaceline Route ein Pool Review zu finden sein. Auch Insider, die während der Tage entstanden waren, sollten verewigt werden. Nachdem wir uns auf die Inhalte geeinigt hatten, ging es nun noch um die Arbeitsaufteilung. Jede*r Teilnehmende erhielt eine Aufgabe und das Ziel war es bis zum Abend mit dem Bericht, der Umfrage oder den Illustrationen fertig zu sein. Ich hatte mich für das Thema Bilder gemeldet und möchte so viel vorausschicken: Bis zum Abend hatte ich meine Aufgabe nicht geschafft. So saßen wir alle im Seminarraum oder auf der Terrasse und leisteten unseren Beitrag. Hin und wieder kamen alle zusammen (z. B. bei der Kaffeepause) und tauschten sich aus, wie der Stand war. So gibt es über diesen Tag wohl am wenigsten zu berichten, doch der Abend war an Tag 12 besonders. Denn es stand der interkulturelle Abend an. Wie gesagt waren wir von 19 verschiedenen Ländern und jede Nation hatte ca. 5 Minuten Zeit etwas vom eigenen Land zu präsentieren, dass landestypisch ist oder das Heimatland vorstellt. Es wurde getanzt, gesungen und verköstigt. Ich glaube nach den gut anderthalb Stunden war jeder satt und wollte nur noch den Abend entspannt ausklingen lassen. Es gab jedoch neben den Bildern noch eine weitere Aufgabe, die ich zu erledigen hatte. Jeder von uns hatte ein Kuvert erhalten, auf den wir unseren Namen geschrieben hatten und wie man es aus der Grundschule kennt, konnte man in dieses persönliche Nachrichten schreiben. An sich eine super Idee, aber bei 29 Umschlägen ist das eine ganz schön zeitraubende Angelegenheit. Besonders, wenn man eine persönliche Note in den kleinen Brief bringen möchte. So saß ein Teil von uns bis spät abends auf der Terrasse, genoss den Ausblick über Thessaloniki und schrieb Briefe an alle Teilnehmenden und Teamer.

Donnerstag und somit der vorletzte Tag brach an. Ich hätte die Chance gehabt, mir mit weiteren Teilnehmenden den Sonnenaufgang anzusehen, aber da ich bei unserem gestrigen Lauf schon bemerkt hatte, dass die Sonne nicht über dem Tal, sondern hinter Bergen aufging, hatte ich mich für das bequeme Bett entschieden. Es mag vielleicht komisch klingen, aber nach gut zwei Wochen dieser Bildungsreise war man doch erschöpft. Doch heute ging es endlich in die Innenstadt von Thessaloniki. Dort wurden wir von drei ehemaligen Peaceline Teilnehmenden begrüßt. Sie hatten sich bereit erklärt, uns eine kleine Stadtführung zu geben. Das machte das ganze etwas lockerer und so möchte ich hier nur einen kurzen Abriss über die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten geben. Thessaloniki wurde gut 300 Jahre vor unserer Zeitrechnung gegründet und verdankt seinen Namen der Halbschwester Alexanders des Großen. Dieser findet sich natürlich auch hier wieder und unweit vom Wahrzeichen der Stadt, dem weißen Turm und dem Meer findet sich ebenfalls eine Statue des makedonischen Königs, die aber weniger protzig ist, als die in Skopje. Lassen wir aber mal dieses Kapitel hier außen vor und widmen uns dem nächsten Namen, den man in Thessaloniki häufig begegnet: Galerius. Der römische Kaiser hatte in der Stadt, die an der ehemaligen Via Egnatia liegt, viele Bauwerke errichten lassen, die heute Sehenswürdigkeiten sind. Darunter finden sich der Galeriusbogen oder auch die Rotunde (eine Art Pantheon Griechenlands). Doch nicht nur die Römer haben hier einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Im späteren byzantinischen Reich war die Handelsstadt nach Konstantinopel das wichtigste Zentrum. Noch heute kann man die Stadtmauer aus der Zeit sehen, wenn man sich den Berg zum Heptapyrgion, eine Festung, begibt. Dann kamen die Osmanen und regierten lange Zeit in der Stadt. Die Rotunde wurde während dieser Zeit genau wie andere frühchristliche Kirchen in eine Moschee umgewandelt und noch heute kann man das Minarett dort sehen. Auch sonst merkt man in der Stadt den osmanischen Einfluss noch. Es gibt hier ebenfalls eine Hagia Sophia (wenn auch nicht ganz so imposant, wie in Istanbul) und Mustafa Kemal Atatürk wurde in Thessaloniki geboren. Unsere Stadtführung hatte aber noch einen geschichtlichen Aspekt, der zu unserer Route passte. Wir starteten an der Platia Eleftherias, auf der am 11. Juli 1942 zwischen 6.000 und 7.000 Juden unter dem Vorwand der Zwangsarbeit versammelt wurden und öffentlich gefoltert wurden. Ähnlich wie bei den Juden in Nordmazedonien wurden sie alle nach und nach deportiert und in der Terrorherrschaft der Nazis wurden 96 % der Juden aus Thessaloniki in den Konzentrationslagern ermordet. Wie schon das ein oder andere Mal erwähnt. Die Geschichten wiederholen sich traurigerweise.

Aber was kann man dagegen tun? Genau das war die Frage unseres letzten Workshops, nachdem wir wieder zurück im Hotel waren. Wie können wir diese Reise, die wir beschritten haben, mit anderen teilen und was sind kleine und große Hebel um Menschen zu erreichen, damit alles was wir gesehen, gehört und gefühlt haben, hoffentlich nicht mehr passiert. Eine Maßnahme zeige ich hier gerade: ein Blog. In der Gruppe fanden wir aber noch weitaus mehr Möglichkeiten, wie man sein Wissen und seine Meinung der Gesellschaft teilen kann. Falls jemand Rat sucht, ich helfe gerne mit ein paar Ideen. Aber jetzt nun sollte das kommen, auf das wir uns alle irgendwie gefreut und vor dem wir uns gefürchtet hatten: Das wars! Wir hatten das Programm abgeschlossen und als Zeugnis dafür erhielten wir abends alle feierlich unsere Urkunde. Es war ein wirklich berührender Moment und auch wenn wir wussten, dass es nicht das Ende der Welt war. Die längste Zeit hatten wir nun miteinander verbracht. Doch heute sollte hier noch nicht so viel Platz sein für große Verabschiedungen. Dafür hatten wir morgen noch genug Zeit. An diesem Abend freuten wir uns alle, uns nun Friedensbotschafter nennen zu dürfen und diese wunderbare Zeit genossen zu haben.

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